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Frau Luhna

ein Märchen

Frau Luhna zog sich die Decke über den Kopf. Die wenigen Stunden Schlaf waren wie so oft, viel zu schnell vorbei gezogen und die Arbeit rief.
Allein die Kinder zu wecken nahm schon den halben Arbeitstag im Anspruch.
Diese waren mürrische kleine Wesen mit einer Vorliebe für Versteckspiele und führten ihre liebende Mutter nur zu gern an der Nase herum.
Das Frühstück für die Kinderschar hingegen war schnell aufgetischt, denn so lebhaft sie waren, so anspruchslos waren sie was die Wahl ihres Müslis betraf. Mampfendes Schweigen war eine wahre kleine Freude für Frau Luhna. Sie vergötterte ihre Kleinen, das stand außer Frage. Doch die kleinen Ruhe-Inseln waren eine wahre Wonne und ein kurzer Moment des Durchschnaufens, bevor die Meute das Haus verlassen musste. Der Kindergarten war riesig. Frau Luhna hatte nie nachgefragt wieviele Kinder wohl dort spielten. Es fühlte sich wie Abertausende an. Sie waren sich alle so ähnlich. Herumwirbelnde kleine Wesen, die doch so grundverschieden waren, wie man sich es niemals hätte ausdenken können.
Als Frau Luhna wieder zuhause war, so schien ihr die Ruhe fast unnatürlich. Sie begann die Fenster zu putzen, denn die Kindernasen die sich so oft an die Scheiben drückten, hinterließen ihre Spuren. Frau Luhna legte großen Wert auf saubere Fenster die zum Hinausschauen einluden. Es gab dort draußen ja so vieles zu sehen.
Als nächstes war der Boden dran. Staubig war er. Woher kam nur all dieser Staub? Schaute man in die Luft, sah man ihn fast nie, doch letztlich lag er überall. Frau Luhna putzt und dachte nach und putze weiter. So sah ihr Alltag aus und sie tat es gern. Oft musste sie sich dafür rechtfertigen, denn keiner konnte sich vorstellen, dass es ihr Freude bereiten konnte ihr Heim gemütlich zu gestalten und Zeit mit den Kindern zu verbringen. Wie ein Schäfer fühlte sie sich häufig. Sie suchte die saftigsten Wiesen für ihre Herde, hatte jedes einzelne im Blick und konnte kaum erwarten... Da endete der Vergleich, denn Kinder schliefen nicht im Stall, sondern wohl behütet im warmen sauberen Haus.
Das war also ihre Aufgabe und würde es wohl auch noch einige Zeit sein.
Oft hätte Frau Luhna überlegt, sich mit den Nachbarn anzufreunden. Es hätte eine praktische Sache sein können, denn sie wohnten in der Nähe, kannten ihre Kinder. Man hätte Gesprächsstoff gehabt. Zu dumm, dass nahezu alle davon alleinstehende kinderlose Langweiler waren. Zumindest dachte sie das von Ihnen, wie sie es von sich selbst auch dachte.
Einmal gab es da jemanden. Er war schön und lebendig, fröhlich und stark. Jemand zum Anlehnen, hatte sie gedacht. Ihre Gedanken kreisen immernoch oft um ihn, so wie auch sie es damals tat. Er war letztlich unnahbarer als es den Anschein hatte. Sie war keine Dekoration für irgendwen und wollte es nie sein.
Frau Luhna fühlte sich nicht einmal sonderlich dekorativ. Weder ihr wechselhaftes Wesen, noch ihr Erscheinungsbild schien ihr eine außerordentliche Zierde zu sein.
So verging der Tag. Eine Tasse Kakao, das Wischwasser noch im Eimer stehend, an Vergangenes denkend.
Die Schlussfolgerung aus all dem war wie immer dieselbe. Frau Luhna war recht zufrieden. Sie klatschte einmal in die Hände, motivierte und applaudierte sich damit gleichermaßen. Sie zog den Mantel über, öffnete die Tür und verließ das Haus.
Die frische Luft tat ihr gut. Sie atmete tief ein und aus, fast als müsste sie etwas aufholen. Vermutlich kompensierte Frau Luhna so die staubige Zimmerluft. Zum Kindergarten waren es nur wenige Minuten, die letzten
stillen Augenblicke vor dem zu Bett gehen.
Dennoch konnte sie es kaum erwarten ihre Arme weit zu öffnen und all die freudig strahlenden Gesichter an sich zu pressen.
Und schon war es soweit. Sie öffnete das schwere, gut verriegelte Tor und erblickte viele spielend herumtobende kleine Wesen. Freudiges Schreien und ausgelassene Stimmung wohin man nur sah. Als schaute man sich Bakterien unter einem Mikroskop an.
Keine zwei Minuten vergingen, als der erste ihrer Sprösslinge auf Frau Luhna aufmerksam wurde. Schnell hatten auch die Anderen ihre Anwesenheit bemerkt und strömten ihr für die ersehnte warme mütterliche Umarmung entgegen. Dies war der schönste Augenblick des Tages.
Die Kinderschar und Frau Luhna verließen vergnügt das Gelände und auf dem kurzen Heimweg wurde der bisherige Tag ausgewertet.
Zu Mittag hatten die Kleinen bereits gegessen und so versammelte man sich zu Tee und Keksen.
Es war ein heiteres schmatzen und plaudern.
Frau Luhna hatte wirklich großes Glück mit ihren Kindern. Jedes einzelne strahlte in einem anderen Licht und sie ließen die Wohnung viel wärmer und lebendig erscheinen.
Vor dem Abendessen war es üblich, die Wohnung in ein Spielparadies zu verwandeln. Wie kleine Meteore flirrten dann die Kleinen durch alle Räume,während Frau Luhna aus belegten Broten kleine Wolken und Schäfchen schnitt.

Frau Luhna betrachtete den großen runden Tisch. Um ihn saßen die Kinder dicht gedrängt und betrachteten ihre liebevoll hergerichteten Teller mit großen freudigen Augen.
Frau Luhna wusste genau, wer was am Liebsten aß. Das zu beachten war ihr sehr wichtig. Sie wollte nur das Beste und so eine kleine Denkaufgabe tat ihr nicht schlecht, fand sie. Außerdem garantierte sie ihr volle Kinderbäuche und leere Teller.
Das Wichtigste am Ende des Tages war allerdings weder das Essen, noch die kauend stille Tischrunde. Es war die Gute-Nacht-Geschichte. Ohne diese waren keine guten Träume, kein ruhiger Schlaf und keine zufriedenen Kinder möglich - das stand außer Frage und wurde niemals ausgelassen.
Alle Kinder schliefen zusammen in einem großen Zimmer. Sie hatten es nie anders gewollt.
Frau Luhna pflegte, sich auf den Boden zu setzen, so, dass jedes der Kinder seinen Platz an ihrer Seite finden konnte.
Sie schlug das große Buch der Märchen auf. Schon unzählige Male hatten sie es von vorn bis hinten gelesen, doch noch immer bekamen die Kinder nicht genug davon. Es war eine Tradition und die waren Frau Luhna wichtig.
Sie begann ausdrucksstark zu lesen und die Kinder hingen an ihren Lippen.
Es war das Märchen von der Prinzessin, die einst von den Planeten geraubt wurde, um an ihrer Seite zu herrschen.
Die Liebe des Erden-Prinzen zu ihr war so stark, dass er durch alle Lande wanderte und auf den höchsten Berg stieg um sie zu retten.
Die Planeten waren erbost und gewährten den Beiden eine letzte gemeinsame Nacht oder beider Tod.
In dieser Nacht empfing die Prinzessin abertausende Kinder.
Oft sehnte sie sich nach dem Prinzen, doch je älter ihre Kinder wurden, desto mehr vergaß sie ihn und herrschte als liebende Mutter an der Seite der Planeten.
Frau Luhna schloss das Buch mit Tränen in dem Augen. Die Kinder waren eingeschlafen.
Sie war glücklich und eines Tages, das wusste sie, würde sie den Kindern erzählen, dass die Prinzessin es gewesen war, die sich freiwillig für das Leben ohne ihren Prinzen entschieden hatte, weil sie im Universum eine viel größere Liebe gefunden hatte.

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